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Studentischer Verein "Lupe" entwirft Schulmaterialien zur NS-Zeit in Heidelberg

So kommt lokale Geschichte in den Unterricht - "Das fand alles unmittelbar hier statt"

Von Daniela Biehl

Heidelberg. Die Zeit des Nationalsozialismus gehört fest in den Geschichtsunterricht jeder Schule. Dabei geht es jedoch selten konkret um die Geschichten von Verrat und Verfolgung, die sich auch hier, direkt in unserer Nachbarschaft, abspielten. Es sind Geschichten wie die von Johanna Geissmar, die der Verein "Heidelberger Lupe" für Schüler aufbereitet. Geissmar praktizierte in den 1930ern als Kinderärztin in der Moltkestraße und wurde als Jüdin ausgegrenzt, später nach Gurs und Auschwitz deportiert. Oder die von Johann Herold, einem Heidelberger Kriminalbeamten, der Unterlagen zur Deportation von Sinti-Familien nicht bearbeitete und sie so vor diesem Schicksal bewahrte.

Es sind solche Geschichten, aus denen der studentische Verein Materialien für den Unterricht entwickelt. Denn: "Da Schulbücher von überregionalen Verlagshäusern gedruckt werden, geht der regionale Fokus verloren", sagt Felix Pawlowski. "Wir wollen aber zeigen, dass dieses Unrecht, die Verfolgung von Minderheiten, kein entrücktes Thema ist. Dass sie auch unmittelbar hier in Heidelberg stattfanden." Auslöser für das Projekt waren sogar hiesige Lehrer. Als Geschichtsstudenten wie Pawlowski im Rahmen eines Uni-Seminars vergangenes Jahr eine Ausstellung zur Deportation der Heidelberger Juden und Sinti konzipierten, fanden sich im Gästebuch etliche Einträge von Lehrern, die sich vor allem eines wünschten: Zusatzmaterialien für den Unterricht. Also setzten sich acht Studenten - inzwischen sind es zwölf - im April zusammen, erarbeiteten erste Ideen für ihr Konzept, suchten sich Kooperationspartner - etwa die Jüdische Kultusgemeinde oder das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma - und gingen auf Recherche. Dabei standen sie von Anfang an in engem Kontakt mit dem "Arbeitsbereich Minderheitengeschichte" der Universität sowie der Stadt.

Sie stöbern im Stadt- oder Landesarchiv, wälzen Patientenakten aus dem Uni-Archiv - etwa zur Euthanasie - und führen Zeitzeugeninterviews. In Kleingruppen erarbeiten sie demnächst Basisthemen für Schüler der neunten und elften Klasse - beispielsweise zur Bücherverbrennung auf dem Uniplatz, den Novemberpogromen oder der Verfolgungen der Juden, Sinti und Roma sowie Homosexuellen in der Stadt. "Oder zum politischen und religiösen Widerstand - durch Hermann Maas beispielsweise", ergänzt Pawlowski. Ihnen ist wichtig, "das ganze Spektrum darzustellen: von Opfern, Tätern, Helfern und Mitwissern".

Dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte mit einem Heidelberg-Fokus zu unterrichten, sei wichtig, "weil man die Schüler dort abholt, wo sie sind, in ihrer Umgebung", findet Lehrer Andreas Barth. Er unterrichtet Geschichte am St. Raphael-Gymnasium und merkte schon oft, "dass die NS-Zeit in Vergessenheit gerät und bei Jugendlichen erstaunlich wenig Wissen vorhanden ist". Deshalb ist er als erster Kooperationslehrer eingestiegen. Das heißt, Barth berät die Studenten, in seinem Unterricht werden die Materialien getestet.

Und die "Lupe" hat noch viel vor: Neben einem Begleitheft für Lehrer soll eine Online-Plattform entstehen. Darauf soll sich auch eine interaktive Karte finden, die Heidelberger Orte, Geschehnisse und Biografien aus der Zeit des Nationalsozialismus miteinander verknüpft. Das wäre nicht nur bildungspolitisch bedeutsam, denn bisher "gibt es noch keine Gesamtdarstellung von Heidelberg während der NS-Zeit", so Barth. "Es gibt nur Materialsammlungen oder Aufarbeitungen, nach Opfergruppen oder einzelnen Themenfeldern unterteilt."

Das klingt nach zeitaufwendiger Arbeit. "20 Ehrenamtsstunden im Monat", schätzt Pawlowski. Ein Herzensprojekt also? "Ja, und eine gesellschaftliche Verantwortung. Nicht umsonst sagt man: Wer sich nicht mit seiner Geschichte auseinandersetzt, ist verdammt, sie zu wiederholen." Er will mit dem Projekt auch Stereotype aufbrechen - und zeigen, wie viel konstruiert wurde. "Juden, Sinti oder heute auch Flüchtlinge waren und sind nicht fremd. Sie werden nur fremd gemacht."

Quelle: RNZ, vom 18.11.2016

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